Nach zwei Tagen mit bestem Wetter ist es an diesem Donnerstag eher trüb. Nichts desto trotz besuchen wir heute die zweite der „drei schönsten Landschaften Japans“, von denen wir eine bei ebenfalls bedecktem Himmel bereits an Tag 5 gesehen haben. Zur Ausnahme können wir heute früh ausschlafen, denn die Fahrt dauert nicht (all zu) lange und die erste Zugfahrt beginnt erst nach 9:00.

Der Kounotori verbindet Ōsaka über die Fukuchiyama Line, eine Inlandstrecke, mit der Stadt Fukuchiyama an der San’in Main Line. Auf der San’in Main Line fahren viele Züge dann weiter nach Kinosakionsen, einem Kurort nahe der Küste zum japanischen Meer, den wir heute auch noch besuchen werden. Im Stadtgebiet von Ōsaka beginnen die Züge des Kounotori bereits am Shinkansen-Bahnhof Shin-Ōsaka, bevor sie den Hauptbahnhof Ōsaka auf der viergleisigen Tōkaidō Main Line in westlicher Richtung verlassen. Bereits nach wenigen Kilometern, in Amagasaki, zweigt der Kounotori ab auf die dort beginnende Fukuchiyama Line.

Am 25. April 2005 ereignete sich hier einer der schwersten Eisenbahn-Unfälle in der japanischen Geschichte. Ein Rapid der Fukuchiyama Line, ein 7-Wagen-Zug der Baureihe 207, entgleiste auf dem letzten Streckenabschnitt zwischen Tsukaguchi und Amagasaki in dieser Kurve nach außen und kollidierte mit einem Wohnhaus, das an der Stelle der heutigen Gedenkhalle stand. Da der Zug gegen 9:20 an einem Werktag noch recht voll war, starben bei dem Unglück 107 Personen und mehr als 500 wurden verletzt. Die Unfallursache war überhöhte Geschwindigkeit. Im Streckenabschnitt vor der Kurve sind 120 km/h zugelassen, die der Tf bei der Durchfahrt durch Tsukaguchi auch ausgefahren hatte. Die Kurve selbst ist auf 70 km/h beschränkt. Der Tf hatte den Zug allerdings nicht rechtzeitig abgebremst und kam mit ca. 115 km/h in den Gleisbogen, dessen Entgleisungsmoment für den Unfallzug von Gutachtern später auf ca. 105 km/h geschätzt wird. Dem Tf, der den Unfall nicht überlebte, nun einseitig menschliches Versagen als Ursache zuzuweisen, greift hier zu kurz. Tatsächlich befand sich der Tf zum Zeitpunkt des Unfalls aufgrund verschiedener Umstände unter massivem psychischen Druck, in erster Linie wegen der strengen Fehlerkultur von JR West. Der Tf hatte einige Monate vor dem Unfall einen Bahnsteig um rund 100 Meter verfehlt, musste zurücksetzen und handelte sich damit Verspätung ein. Zur Strafe musste er nicht nur einen geringen Lohneinbehalt hinnehmen, sondern auch in eine verpflichtende „Nachschulung“, die u. a. aus „Anschiss kassieren“, dem Schreiben langer Reue-Berichte und Straftätigkeiten wie Grünpflege besteht. Am Tag des Unfalls passiertem dem Tf vor der Unfallstelle erneut zwei Fahrfehler. Zunächst erhielt er eine Zwangsbremsung, später verpasste er einen Bahnsteig um 3 Wagenlängen und musste abermals zurücksetzen. Das führte zu einer Verspätung von 90 Sekunden (nicht Minuten!), die sich aufgrund kontinuierlich zusammengestrichener Fahrzeitreserven auf der Fukuchiyama Line bis Amagasaki normal nicht auf unter 60 Sekunden drücken lässt. Wohl in Erwartung einer erneuten „Nachschulung“, wenn er den knappen bahnsteiggleichen Anschluss zum Local nach Ōsaka in Amagasaki nicht schafft, versuchte der Tf unter Überschreitung der berechneten Bremskurve die Verspätung wieder heraus zu holen und Repressalien zu vermeiden – leider für ihn und seine Fahrgäste vergebens und mit verheerendem Ausgang…
Nach dem Unfall kam es zu großem öffentlichem Druck auf JR West, gerade auch wegen des harten Umgangs mit dem Fahrpersonal. Leitende Angestellte und der Vorstandsvorsitzende traten zurück. Ein ranghoher Mitarbeiter (und Nachfolger des zurückgetretenen Vorstandsvorsitzenden) wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, da bei der Trassierung der Kurve im Rahmen einer Streckenverlegung im Jahr 1996 der Einbau eines Zugsicherungssystems mit Bremswegüberwachung versäumt wurde. Er wurde später allerdings freigesprochen. Die zulässige Geschwindigkeit in der Kurve ist heute auf 60 km/h reduziert, in den angrenzenden Streckenabschnitten auf 95 km/h. Was bleibt, ist neben dem Leid der Verletzten und Angehörigen auch die Erkenntnis, welche fatalen Auswirkungen eine betriebliche „Druck-Kultur“ bei Angestellten in sicherheitsrelevanten Bereichen haben kann…
Nach dem Passieren der damaligen Unfallstelle verlässt unser Kounotori die Vororte um Ōsaka und fährt durch bergiges Terrain der Stadt Fukuchiyama entgegen.





In Fukuchiyama haben wir nun eine Stunde Zeit, die wir u. a. in den Kauf von Fahrkarten investieren. Denn die Weiterfahrt in Richtung Miyazu an der Nordküste erfolgt auf dem Streckennetz der Kitakinki Tango Railway (KTR) – allerdings nicht mit einem Zug der KTR, sondern von Willer Trains. Die KTR, ein öffentlich-privates Unternehmen des 3. Sektors, war bis 2015 für Betrieb und Infrastruktur zuständig. Seit 2015 ist das Unternehmen jedoch nur noch EIU. Den Betrieb übernimmt nach einer Ausschreibung der KTR das EVU Willer Trains, ein Unternehmen der japanischen Willer-Gruppe, die im eigenen Land vorrangig Fernbusse unter der Marke „Willer Express“ anbietet. Vermarktet wird der Betrieb auf dem Netz der KTR als „Kyōto Tango Railway“. Willer Trains ist im Gegensatz zur KTR kein öffentlich-privates Unternehmen, sondern eine Gesellschaft des 2. Sektors (profitorientierte Nicht-JR-Bahnen). Die Aussage, dass wir im weiteren Tagesverlauf keinen Zug der KTR nutzen werden, ist übrigens nicht ganz korrekt, denn Willer Trains hat als Teil seines Verkehrsvertrages die Fahrzeuge der KTR angemietet.
Für die beiden bevorstehenden Fahrten mit dem reservierungspflichtigen Limited Express Hashidate nach Amanohashidate und weiter bis Toyooka benötigen wir nun noch eine Fahrkarte für die Kyōto Tango Railway. Dafür besuchen wir den Fahrkartenschalter des Unternehmens in Fukuchiyama. Der Mitarbeiter spricht nur Japanisch, hat aber ein kleines schlaues Gerät bei sich, in das er hinein spricht und das mir anschließend seine Worte in Englisch als Text zum Ablesen anzeigt. Ich reiche ihm einen Zettel, auf dem ich meine beiden Fahrtwünsche bereits vorab auf Japanisch notiert habe. Er rechnet kurz durch, was die Einzelfahrkarten kosten würden, und meint dann: Das geht billiger! Beide Fahrten einzeln in der Standardklasse würden sich auf 3.900 Yen (24,40 €) summieren. Die Kyōto Tango Railway bietet aber für 2.500 Yen (15,65 €) eine Tageskarte an, in der alle Zuschläge für den Limited Express bereits enthalten sind und von der ich trotz intensiver Recherche bis dato nichts wusste. Damit hat sich der Fahrscheinkauf in Fukuchiyama mit der Stunde Wartezeit schon gegenüber dem Nachlösen im Zug oder dem Vorkauf am JR-Schalter (falls das überhaupt möglich ist) gelohnt 😉


Kitakinki steht übrigens für den Norden („Kita“) der Kinki-Region. Die Bezeichnung „Kinki“ wird in ähnlicher Weise wie „Kansai“ für die Region um Ōsaka und Kyōto verwendet. Tatsächlich befinden wir uns gerade (noch) in der Präfektur Kyōto, wodurch sich auch der Name der „Kyōto Tango Railway“ erklärt.
Der Hashidate befährt nach seiner Übergabe von JR West an Willer Trains die KTR Miyafuku Line. Die rund 30 Kilometer lange Strecke nach Miyazu wurde erst 1988 fertiggestellt. Sie ist daher überwiegend geradlinig und mit vielen Tunneln trassiert, um eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h und kurze Reisezeiten zu ermöglichen. Trotzdem braucht Hashidate 3 mit einem Verkehrshalt in Ōe 34 Minuten von Fukuchiyama bis Miyazu wegen eines zusätzlichen planmäßigen Betriebshalts zur Kreuzung mit einem entgegen kommenden Limited Express. Ohne den Betriebshalt wäre die Strecke in 27 Minuten zu schaffen. Das Thema „Reservierungspflicht“ löst sich für Inhaber einer Tageskarte übrigens so: Man steigt ein und setzt sich auf einen freien Platz, von denen zumindest an diesem Tag reichlich vorhanden sind. Da wir ohne Reservierung nicht automatisch „eingecheckt“ sind, spricht uns der Zugführer zur Fahrscheinkontrolle an. Nach Vorzeigen der Tageskarte frägt er das Fahrtziel ab. Wenn der gewählte Platz bis dahin nicht reserviert ist, können wir dort sitzen bleiben und der Zf trägt uns in einer mitgeführten Wagenskizze ein. Damit sind wir für die weitere Fahrt „eingecheckt“. Sollte der Platz auf einer späteren Teilstrecke reserviert sein, dann hilft der Zf beim Auffinden eines durchgehend freien Sitzplatzes. Erforderlich ist das heute in Anbetracht einer Auslastung von ca. 25 % aber nicht.

Das letzte Stück bis Amanohashidate fährt der Hashidate auf der deutlich älteren und daher landschaftsnäher trassierten Miyazu Line. Aufgrund der kurzen Fahrzeit drehen die meisten Fahrgäste ihre Sitze nicht in Fahrtrichtung. Um 12:36 kommt Hashidate 3 schließlich an seinem Endbahnhof Amanohashidate an.


Amanohashidate, die Stadt, die dem Limited Express Hashidate den Namen gibt, ist ein beliebtes Touristenziel. Hier befindet sich die pinienbewaldete Sandbank von Amanohashidate, eine der „drei schönsten Landschaften Japans“ (zu weiteren Ausführungen dazu verweise ich auf Tag 5). Den besten Blick darauf hat man von einer nahe gelegenen Erhebung, die durch verschiedene Aussichtsplattformen erschlossen ist.

Die Benutzung von Sesselbahn und Monorail kostet 1.000 Yen (6,25 €) für Berg- und Talfahrt. Dabei ist es egal, welche der beiden Optionen für welche Strecke genutzt wird. Besucher können also je nach Präferenz zweimal Sessellift, zweimal Monorail oder einmal das eine und dann das andere fahren. Die Monorail fährt alle 20 Minuten (zur Minute 00, 20 und 40 ab der Talstation) und fasst 40 Fahrgäste. Reisende haben dahin den Vorteil, vor Regen geschützt zu sein, während die immer ohne Wartezeit verfügbare Sesselbahn keinen besonderen Wetterschutz bietet.

Oben angekommen erwartet die Besucher des Amanohashidate Viewland ein Freizeitpark, der einer gewissen Beschaulichkeit der Aussicht auf die Sandbank etwas widerstrebt.



Bei den vielen Attraktionen bleibt nun noch die Frage offen: Wofür das Ganze? Nun:


Japanische Philosophen sind der Meinung, wenn man sich auf eine der Bänke aus Bild 11-16 stelle, die Beine breit mache und sich mit dem Oberkörper vorbeuge, um „auf dem Kopf“ hindurch zu sehen, erkenne man die Sandbank als Brücke zwischen Himmel und Erde. Sie wird deshalb auch manchmal „Himmelsbrücke“ genannt. Leider möchte sich zumindest bei mir dieser Eindruck bei dem trüb-bedeckten Wetter nicht einstellen. Ich denke aber, bei blauem Himmel könnte der Anblick hier durchaus noch sehenswerter sein.


Der Preis für Berg- und Talfahrt ist fair, auch wenn (oder gerade weil) die Attraktionen im Freizeitpark oben noch einmal extra kosten. Zum Vergleich: Die Rietburgbahn in Edenkoben kostet 8,50 € für Berg- und Talfahrt und bietet dabei keine wettergeschützte Alternative. Damit haben wir nun zwei der drei schönsten Landschaften Japans gesehen. Die dritte, die pinienbewaldeten Inseln von Matsushima, werden wir auf dieser Reise nicht schaffen. Matsushima befindet sich nahe der Stadt Sendai in der Präfektur Miyagi, mehr als 800 km mit dem Shinkansen von Ōsaka entfernt. Der Besuch lohnt sich eher für eine Reise mit Standort in Tōkyō (die ich mir eines Tages auch noch vorgenommen habe ;).
Vor der Weiterfahrt besuchen wir die Sandbank, die wir in den Bilder 11-18 und 11-19 von oben gesehen haben.




Passend vor dem nächsten Regenschauer ist dann die Zeit für die Weiterreise gekommen.

Um 14:34 erwarten wir den Hashidate 5 zur Weiterfahrt nach Toyooka. Zu planmäßigen Abfahrtszeit ist vom Zug aber noch weit und breit nichts zu sehen, obwohl der Anzeiger am Bahnsteig beharrlich auf einer Abfahrt um 14:34 ohne Verspätung besteht. Sollten wir uns langsam um den 4-Minuten-Anschluss in Toyooka Gedanken machen? Um 14:38 verlässt die einzige Mitreisende den Mittelbahnsteig durch die Überführung in Richtung Stationsaufsicht, um sich kundig zu machen. Während sie am Hausbahnsteig Fuß aufsetzt, beginnt der BÜ vor dem Bahnhof zu klingeln und die junge Dame kehrt schnellen Schrittes zu unserem Bahnsteig zurück. Dann müsste der Zug ja nun kommen 😉

Der Zug besteht aus einer Doppeltraktion zweier zweiteiliger Dieseltriebwagen der KTR-Baureihe 8000. Die Leistungen des Hashidate, die über Amanohashidate in Richtung Toyooka hinaus gehen, müssen wegen der fehlenden Elektrifizierung der Miyazu Line hinter Amanohashidate mit Diesel-Fahrzeugen gefahren werden. Alle anderen Züge des Limited Express Hashidate, die bereits in Amanohashidate enden, werden dagegen mit der elektrischen JR-Baureihe 287 bedient. Das bedeutet natürlich auch, dass unser Zug bis hierhin 120 km unter Fahrdraht dieseln musste… Mit weiterhin 7 Minuten Verspätung fahren wir auf die Dieselstrecke aus und geraten dort gelegentlich in leichte Regenschauer. Die Verspätung kann das engagierte Zugpersonal an den folgenden Zwischenhalten langsam reduzieren, da dort kaum Fahrgastwechsel statt findet und die entgegen kommenden Nahverkehrszüge alle auf den Limited Express warten müssen. Den letzten Wagen haben wir fast über die gesamte Fahrt für uns alleine.

Der recht unscheinbare Haltepunkt hat für unseren Limited Express verkehrlich große Bedeutung, den formal endet der Hashidate 5 hier. In Yūhigaura-Kitsuonsen findet ein Zugnummern- und Gattungswechsel statt. Der Zug fährt weiter als Rapid bis Toyooka. Damit entfällt für die letzten beiden Halte die Zuschlags- und Reservierungspflicht. Den einzigen Zwischenhalt des Rapid in Kumihama (bis vor einigen Jahren war der Gattungswechsel noch dort) verlassen wir mit +5. In Anbetracht der Verspätung habe ich den 4-Minuten-Anschluss in Toyooka zum Limited Express Kinosaki nach Kinosakionsen zu diesem Zeitpunkt schon abgeschrieben. Eine halbe Stunde später würde in Toyooka der nächste Local kommen, da wäre der verpasste Anschluss für den weiteren Reiseverlauf kein Problem.


Nach dem Ausstieg lassen wir zunächst keine Eile walten, denn ich gehe ja davon aus, dass wir jetzt viel Zeit zum Umsteigen haben. Beim Blick rüber zu den JR-Bahnsteigen fällt aber auf, dass der Anschlusszug zur planmäßigen Abfahrtszeit um 15:40 noch gar nicht da ist. Also doch beeilen? Hastig verlassen wir den Bahnsteig der KTR. Die Stationswärterin am Ende des Bahnsteigs belässt es ob der Umstände bei einer sehr flüchtigen Sichtkontrolle unserer Fahrkarte, sodass wir gleich zügig, aber japanisch gesittet durch die Überführung auf das Abfahrtsgleis des Limited Express Kinosaki wechseln. Dort haben wir in der Tat „Glück“, denn für unseren Anschlusszug wird eine Verspätung von 6 Minuten vorhergesagt.

Nach dem Zustieg tut sich dann erstmal nichts, denn die Strecke in Richtung Kinosakionsen ist eingleisig und wir warten noch auf einen Gegenzug, den Kounotori 22 nach Shin-Ōsaka, der selbst ca. 10 Minuten Verspätung mitbringt. Um 15:53, mit +13, verlassen wir schließlich Toyooka und erreichen nach wenigen Minuten Kinosakionsen um 16:01. Vorgesehen war die Ankunft laut Fahrplan bereits um 15:49. Das bedeutet, wir haben es nun nach 11 Tagen (!) erstmals in Japan geschafft, eine Verspätung gemäß DB-Definition einzufahren. So viel sei an dieser Stelle verraten: Die +12 heute werden bis zum Ende der Reise unsere größte Verspätung in Japan bleiben! Verspätungsursache war eine Störung auf der Fukuchiyama Line, nachdem wir am Vormittag noch störungsfrei durchgekommen waren. Wenn ich mich recht erinnere, waren Personen im oder am Gleis die Primärursache der Störung. Jedenfalls waren sowohl der Hashidate 5 als auch der Kinosaki 7 durch Anschlussaufnahme vom Kounotori in Fukuchiyama mit betroffen. Der Gegenzug, auf den wir in Toyooka warten mussten, hatte wohl eine Verspätung aus der Vorleistung mitgenommen. Durch die Störung läuft also das „Kitakinki Limited-Express-Kreuz“ am Nachmittag insgesamt etwas unruhig.

Trotz der Verspätung haben wir in Kinosakionsen nun noch etwas mehr als eine Stunde vor der Rückfahrt nach Ōsaka. Die Zeit nutzen wir, um uns bei Nieselregen etwas im Ort umzuschauen. Kinosakionsen ist, wie der Namenszusatz „onsen“ verraten lässt, vergleichbar zu Gero am Vortag ein Kurort mit Thermalbädern. Vor dem Bahnhof warten nach Ankunft eines Fernzuges bereits mehrere Taxis und Kleinbusse, die Touristen direkt zu den jeweiligen Resorts und Bädern bringen. Sehr überraschend scheuen sich die Fahrer nicht davor, auch Ausländer in englischer Sprache anzusprechen. Ich winke freundlich ab – würde ich denen erklären, dass ich eigentlich nur einen einstündigen Eisenbahn-Fuzzy-Umsteigehalt hier einlege, dann würden sie mich wohl selbst für japanische Verhältnisse für verrückt erklären 😉




Im Ort tragen einige Badegäste auf dem Weg zwischen den Bädern bzw. von und zu den Unterkünften traditionelle Badebekleidung (jap. „Yukata“). An diesem Tag ist auf den Straßen bei ca. 15 Grad und Regen aber nicht viel los. Auch am Bahnhof hält sich der Trubel trotz abendlicher „Hauptverkehrszeit“ in Grenzen.


Der Limited Express Hamakaze stellt neben dem Kounotori noch eine weitere direkte Verbindung von Ōsaka nach Kinosakionsen dar. Die drei täglichen Zugpaare des Hamakaze verlassen Ōsaka über die Tōkaidō Main Line und San’yō Main Line in Richtung Himeji. Dort wechseln die Züge die Fahrtrichtung und setzen die Fahrt über die Bantan Line, eine Verbindungsstrecke zur San’in Main Line, fort. In Wadayama biegen die Züge des Hamakaze dann auf die San’in Main Line ein, der sie bis Toyooka und Kinosakionsen folgen. Zwei Zugpaare am Tag verkehren darüber hinaus bis Kasumi bzw. noch weiter bis zum Linienende des Hamakaze in Tottori. Der Limited Express Hamakaze weicht also etwas von den anderen Linien des „Kitakinki-Big-X-Network“ ab, da der Zug nicht am Mittelpunkt des Expresskreuz in Fukuchiyama vorbei kommt. Da sowohl ein Teilabschnitt der Bantan Line als auch der Streckenabschnitt der San’in Main Line zwischen Kinosakionsen, Kasumi und Tottori nicht elektrifiziert sind, werden die Züge des Hamakaze mit Dieseltriebwagen gefahren.

Zwischen Kinosakionsen und Wadayama folgt die elektrifizierte San’in Main Line dem Maruyama River, der zunehmend schmaler wird. Am Bahnhof Wadayama in der Stadt Asago zweigt die Bantan Line von der San’in Main Line ab. Die Zugführerin sagt vor dem Halt in Wadayama mehrfach durch, dass der bisher der San’in Main Line folgende Zug nun auf die Bantan Line übergeht und Fahrgäste in Richtung Fukuchiyama und Kyōto bitte hier umsteigen sollen. Die Bantan Line ist zwischen Wadayama und Teramae als eingleisige nicht-elektrifizierte Nebenbahn ausgeführt. Der Fahrplan ist entsprechend dünn und das Tempo trotz abschnittsweise guter Trassierung eher gemächlich.


In Teramae beginnt dann wieder die Elektrifizierung. Von dort in Richtung Himeji ist der Fahrplanangebot dichter und auch unser Dieselzug kommt etwas schneller voran.


Bei langsam einbrechender Dunkelheit fährt der Limited Express auf dem letzten Teilabschnitt schließlich über die San’yō Main Line nach Kōbe und von dort direkt weiter auf der Tōkaidō Main Line bis Ōsaka. Hier muss der Dieselmotor ordentlich arbeiten, denn der Zug fährt fast auf der gesamten Strecke seine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h aus – unter Fahrdraht natürlich. Auf dem insgesamt 215 km langen Laufweg unseres Hamakaze 6 von Kasumi über Kinosakionsen, Toyooka, Wadayama, Teramae, Himeji und Kōbe nach Ōsaka fährt der Zug 157 km unter Oberleitung und 58 km auf nicht-elektrifizierten Strecken. Dieseln unter Fahrdraht ist in Japan bei direkten Fernzügen der Gattung Limited Express noch regional verbreitet – auch da die JR-Bahnen keine lokbespannten Züge mehr betreiben und ein Umspannen zwischen E- und V-Traktion daher nicht möglich ist. Im Zulauf auf Ōsaka, genauer an den Bahnhöfen Kōbe und San’nomiya, halten wir an den Bahnsteigen des schnellen Regionalverkehrs. Die Zugführerin hat deutliche Schwierigkeiten, den wartenden Fahrgästen zu vermitteln, dass es sich bei unserem Limited Express um einen reservierungspflichtigen Zug handelt. Mindestens zehnmal sagt sie in San’nomiya auf Japanisch und Englisch durch, dass es sich um einen Zug mit „all-reserved seats“ handelt. Trotzdem hält das manchen Reisenden mit Nahverkehrsfahrkarte nicht von der Mitfahrt ab. Es sei erwähnt, dass die Mitfahrt ohne Zuschlag für den Limited Express normalerweise problemlos möglich ist – wenn man denn bereit ist, bei der Fahrscheinkontrolle freiwillig den Aufpreis zu zahlen. Den Rest der Fahrt bis Ōsaka ist die Zf allerdings damit beschäftigt, Express-Zuschläge mit Erläuterungsbedarf an die Fahrgäste der Kategorie „Wusste ich nicht!“ (übrigens alle japanische Muttersprachler) zu verkaufen.

Der Triebwagen wird an Gleis 10 zwischenabgestellt und gereinigt. Um 20:36 wird das Fahrzeug als Limited Express Biwako 4 auf der vollständig elektrifizierten Tōkaidō Main Line nach Kusatsu in der Ebene des Biwako weiterfahren. Bei diesem Zug handelt es sich nicht nur um ein weiteres Paradebeispiel für das „Dieseln unter Fahrdraht“, sondern auch um eine unpaarige Leistung. Der Triebwagen fährt von Kusatsu aus anschließend leer in die Abstellung, um am nächsten Morgen wieder als Hamakaze eingesetzt zu werden. Angeboten wir die Fahrt in erster Linie für Auspendler aus Ōsaka und Kyōto, weshalb der Zug offiziell auch als Limited Express „Rakuraku“ Biwako 4 bezeichnet wird. „Rakuraku“ ist hier ein lautmalerischer Begriff, der für Pendler den Komfort / die Schnelligkeit / die „Einfachheit“ gegenüber den vollen Nahverkehrszügen betonen soll (so ganz habe ich die konkrete Bedeutung des Wortes aber offenbar nicht verstanden ;). JR West verwendet das Wort jedenfalls einheitlich für ihre Pendlerzüge der Gattung Limited Express, die von Ōsaka aus neben Kusatsu und Maibara auch in Richtung Himeji und Nara fahren.
So „spät“ wir den Tag begonnen haben, so „spät“ beenden wir ihn auch wieder. Nach den langen Fahrten der letzten beiden Tage werden wir uns am nächsten Tag wieder im näheren Bereich um Ōsaka aufhalten, denn es steht noch einer der drei Tage aus, den wir der Umgebung von Kyōto widmen möchten 🙂