Die erste Woche in Japan neigt sich dem Ende zu und am heutigen Sonntag werden wir vorrangig im Zug sitzen und, soweit das Wetter es zulässt, die schöne und vielfältige Küstenlandschaft der Kii-Halbinsel genießen. Die Halbinsel erstreckt sich südlich von der Hauptinsel Honshu in den Pazifik bzw. in die Buchten von Wakayama und Ōsaka der Seto-Inlandsee. Sie wird durch die Kisei Main Line, eine fast 400 Kilometer lange Hauptstrecke von JR Central und JR West, umrundet. Da (mit Ausnahme der ersten 15 Kilometer) auf der gesamten Strecke Fernverkehrszüge verkehren, lässt sich die Halbinsel damit bequem umrunden. Wir fahren die Runde heute in Ost-West-Richtung, starten also mit dem Abschnitt der JR Central, und müssen dafür mit dem Shinkansen zunächst nach Nagoya anreisen.





Der Nanki verbindet die Großstadt Nagoya am Tōkaidō-Shinkansen mit Nachikatsuura und weiteren Küstenorten an der Ostküste der Halbinsel. Benannt ist der Zug nach seinem Fahrtziel, denn der südliche Teil der Kii-Halbinsel wird auch als „Nanki“ bezeichnet. Die Trennlinie zwischen Nord und Süd bildet eine tektonische Verwerfung, die sich in Ost-West-Richtung durch die Halbinsel sowie die benachbarte Hauptinsel Shikoku zieht. Die Verwerfung ist auf Satellitenbildern gerade im Westen der Halbinsel deutlich zu erkennen (dort bildet sie das Flusstal des Kinokawa aus). Auf dem Limited Express Nanki kommen recht neue diesel-elektrische Triebwagen der Baureihe HC85 zum Einsatz, die erst 2022 in Serie an JR Central ausgeliefert wurden. Das Angebot besteht aus vier täglichen Hin- und Rückfahrten nebst zusätzlicher Züge zu den Hauptreisezeiten.


Die Kisei Main Line erreicht der Nanki erst am Bahnhof Tsu, rund 65 Kilometer von Nagoya entfernt. Zuvor nutzt der Zug die teils eingleisige, aber elektrifizierte Kansai Main Line bis Kawarada und ab dort die private, nicht-elektrifizierte Ise Line der Ise Railway bis Tsu. Die Ise Line ist die einzige Strecke der Ise Railway. Sie stellt für die direkten Züge von Nagoya nach Tsu eine Abkürzung dar. Während der Weg über die Kansai Main Line und die Kisei Main Line mit Verknüpfung in Kameyama rund 31 Kilometer lang ist und einen Fahrtrichtungswechsel erfordert, können Züge auf der Ise Line von Kawarada nach Tsu in rund 22 Kilometern durchfahren. Aufgrund ihrer günstigen Lage im Netz wird die Ise Line durch den Limited Express Nanki sowie den Rapid Mie (eine Verbindung von Nagoya nach Toba in der Präfektur Mie) der JR Central befahren. Die Trassennutzungsgebühren, die JR Central für die Benutzung der Ise Line entrichtet, stellen die Haupteinnahmequelle der Ise Railway dar.

Leider erschwert die Streckenführung über die Ise Railway tariflich die Buchung und Nutzung des Zuges für Inhaber eines Japan Rail Pass. Die Fahrt über die Privatbahn kostet einen Aufpreis von 520 Yen (3,25 €) für die Streckenfahrkarte von Kawarada nach Tsu zuzüglich 320 Yen (2,00 €) Zuschlag für den Limited Express. Online und am Automaten können Fahrgäste mit dem Japan Rail Pass keine Sitzplatzreservierungen buchen, die diesen Abschnitt beinhalten. Grund dafür ist der automatische „Komfort-Check-In“ in den reservierten Wagen. Würden kostenlose Reservierungen für Fahrgäste mit Japan Rail Pass ausgestellt, würden die während der Fahrt vom Zugpersonal nicht für die Nachzahlung angesprochen – auch wenn sie den Aufpreis für die Privatbahn noch nicht bezahlt haben. Möglicherweise kann eine Reservierung inklusive Aufpreis am Schalter der JR-Bahnen erworben werden. Das habe ich aber nicht in Erfahrung gebracht. Statt dessen habe ich mich für eine andere Lösung entschieden, denn der Nanki führt einen nicht-reservierten Wagen mit. Die freie Platzwahl darin ist an diesem Sonntagmorgen kein Problem, denn der Wagen ist halb leer. Von Nagoya bis Tsu fahren wir so im nicht-reservierten Wagen mit und wechseln dort in einen der noch leereren reservierten Wagen. Im nicht-reservierten Wagen kontrolliert der Zugführer zwischen dem ersten Unterwegshalt in Kuwana und dem letzten JR-Halt vor der Privatbahn in Yokkaichi die Fahrkarten. Den Fahrgästen mit Japan Rail Pass verkauft er den Zuschlag und Aufpreis gegen Barzahlung (wobei er zwei amerikanischen Touristen erst ausführlich erklären muss, warum der Zuschlag notwendig ist).

Auf der Ise Railway nimmt der Nanki noch einen Zwischenhalt in der Stadt Suzuka mit. Suzuka ist weltbekannt für die Austragung des Großen Preis von Japan in der Formel 1. Zur Anbindung der Rennstrecke befindet sich südlich der Stadt der Haltepunkt Suzuka Circuit Inō, der normalerweise nur von den einteiligen Dieseltriebwagen des Nahverkehrs der Ise Railway bedient wird. An Tagen mit Veranstaltungen halten dort aber auch (zusätzliche) Züge des Nah- und Fernverkehrs, die normalerweise durchfahren würden. Kurz darauf zweigen wir bei Tsu wieder in das JR-Netz ein.



Im Zug werden an einigen Stellen Informationen zur Landschaft und zur Strecke in Japanisch und Englisch über den Lautsprecher abgespielt. Pünktlich um 10:17 erreicht der Nanki 1 den Bahnhof Kii-Nagashima. Dort sind einige Minuten Aufenthalt für die planmäßige Kreuzung mit dem Nanki 4 nach Nagoya eingeplant.



Weiterhin pünktlich um 10:25 geht die Fahrt weiter. Die Strecke verläuft nun in Küstennähe, allerdings wegen der rauen Beschaffenheit der Küstenlinie erneut durch viele Tunnel. Abschnittsweise erinnert der Streckenverlauf ein wenig an die Hauptstrecke der Trenitalia durch die Cinque Terre.



Der Bahnhof Shingū bildet die Verwaltungsgrenze zwischen JR Central und JR West. Ab hier beginnt auch wieder der Fahrdraht, der über die gesamte restliche Runde um die Halbinsel reicht. Trotzdem endet der Nanki hier nicht, sondern fährt nach einem Personalwechsel auf dem Abschnitt der JR West noch weiter bis zum nächsten Fernbahnhof Kii-Katsuura, an dem die Fahrt endet.

Der Bahnhof Kii-Katsuura liegt in der Gemeinde Nachikatsuura, die aus der Zusammenlegung der benachbarten Kleinstädte Nachi und Katsuura entstanden ist. Der zusammenhängende Badeort hat heute rund 15.000 Einwohner. Da wir auf die Rückfahrt mit dem Fernzug der JR West nach Ōsaka – diesmal „anders herum“ um die Halbinsel – noch über eine Stunde warten müssen, schauen wir uns entlang der felsigen Pazifikküste um.






Waren die Orte, die wir bisher besucht haben, sehr belebt (aus Sicht der Anwohner teilweise schon zu belebt), so bewegen wir uns in der Kleinstadt völlig abseits der üblichen Touristenpfade. Auf den Straßen im Ort ist es wohl auch wegen des trüben Wetters sehr ruhig. An der Küste sind wir weit und breit alleine unterwegs. Es gibt also auch im trubeligen Japan die eher ruhigen Ecken, an denen man sich nicht andauernd gegenseitig im Weg steht 😉
Um 13:46 holt uns der Limited Express Kuroshio 26 ab, mit dem wir in exakt 4 Stunden den Bahnhof Ōsaka wieder erreichen werden. Der Kuroshio verbindet Ōsaka mit dem Westen und Süden der Kii-Halbinsel. Ihren Namen verdanken die Züge der Kuroshio-Strömung, einer Warmwasserströmung im Pazifik, die im Südwesten auf die Halbinsel trifft. Sie wirkt ähnlich wie der Golfstrom in Europa auf das japanische Klima und sorgt u. a. für eher milde Winter im Süden und Westen des Landes. Im Namen der Strömung steckt wiederum das Wort „kuro“ (schwarz), das auf die dunkle Färbung des tiefen und klaren Wassers hindeutet. Die Züge des Limited Express Kuroshio verkehren von Ōsaka bis Shirahama an der Westküste der Kii-Halbinsel im Stundentakt (wobei einzelne Fahrten nur von Freitag bis Sonntag fahren). Auf dem anschließenden Streckenabschnitt bis Shingū über Kii-Katsuura fahren ca. 5 Zugpaare pro Tag.


Das Design des Zuges soll an den Arten- und Umweltschutz im Rahmen der UN-Ziele (Sustainable Development Goals) erinnern. Die Idee dafür ist allerdings kommerziell entstanden als Werbeaktion für den Themenpark mit Panda-Zoo „Adventure World“ in Shirahama. Im Zug haben die Sitze der Standard-Klasse, ausgenommen einige „women-only seats“, Kopfstützen mit Panda-Muster. Was es mit den für Frauen reservierten Sitzplätzen auf sich hat, erkläre ich auf einer anderen Fahrt an Tag 10.




In Kushimoto ist die Südspitze der Halbinsel erreicht, sodass die Strecke anschließend entlang der Süd- und Westküste führt. Leider wird das seit Stunden schon trübe Wetter hier noch schlechter und es beginnt zu regnen. Die trotzdem schöne Aussicht kann ich deshalb hier nicht zeigen; zwischen Tunneln und Abschnitten im Wald gibt es aber regelmäßig Ausblicke wie auf den vorherigen Bildern.
Gegen 15:20 erreichen wir Shirahama. Unser 6-teiliger Triebwagen fährt langsam als Rangierfahrt an den Bahnsteig, um auf einen dort bereits wartenden 3-Teiler aufzukuppeln. Mit nun 9 Wagen setzt der Zug seine Fahrt auf dem stärker frequentierten Streckenabschnitt in Richtung Ōsaka fort.


Dazu sei erwähnt, dass es in Japan aufgrund der Anfälligkeit des Landes für Naturkatastrophen üblich ist, neben dem Wetterbericht auch regelmäßig die Katastrophenwarnlage zu überprüfen. Während meiner gesamten Reise droht zum Glück keine Gefahr durch Unwetter oder Katastrophenereignisse, aber auch als Tourist sollte man für den Ernstfall vorbereitet sein (oder zumindest damit rechnen, dass er eintreten kann).
Gegen 16:50 erreichen wir das Ende der Kisei Main Line in der Präfektur-Hauptstadt Wakayama im bereits angesprochenen Kinokawa-Tal. Dort geht der Limited Express Kuroshio auf die durchgehend zweigleisige Hanwa Line über, die im dichten Vorortverkehr um Ōsaka bedient wird. Die Strecke quert den letzten Gebirgszug der Halbinsel über den Onoyama-Pass und erreicht bei Izumi-Sunagawa das flache Terrain der Bucht von Ōsaka. Die letzten 40 Kilometer bis zum Bahnhof Tennōji fährt der Zug durch die endlosen Wohngebiete der Vororte von Ōsaka. Schließlich werden wir im Stadtgebiet von Ōsaka im Uhrzeigersinn auf die Ōsaka Loop Line nach Nishikujō und weiter auf die Umeda Freight Line in die unterirdischen Gleise des Hauptbahnhofs von Ōsaka geleitet.


An dieser Stelle könnte der Tag nun vorbei sein und in Bezug auf die Eisenbahn ist er das (fast) auch. Allerdings ist der Abend noch jung und am nächsten Tag muss ich nicht mehr all zu früh aufstehen. Daher kam während der Reise die Idee auf, das EXPO-Gelände an diesem Tag noch einmal abends nach Einbruch der Dunkelheit zu besuchen. Diese Idee wollte gut überlegt werden, denn einerseits kostet die Abendkarte immerhin 3.700 Yen (23,15 €) für gerade einmal rund 2,5 Stunden zwischen Sonnenuntergang und Räumung des Geländes, andererseits bietet die nächtliche Perspektive mit die schönsten Ansichten. Schließlich hat mich das Argument überzeugt, dass es sich bei der EXPO (zumindest an diesem Ort) um ein einmaliges Ereignis handelt. So habe ich am Vortag bequem online über meinen EXPO-ID-Account eine Abendkarte gekauft – in der Hoffnung, bei Nacht vieles auf dem Gelände noch einmal neu oder anders zu entdecken. Schließlich sollte sich diese Hoffnung erfüllen.




Yumeshima erreichen wir zum Ende der „blauen Stunde“ gegen 19:15. Entgegen der Lastrichtung haben wir hier nun leichtes Spiel 😉

Es folgen nun einige Eindrücke von meinem Nachtbesuch, bei dem ich ausschließlich auf dem Außengelände unterwegs war. Manches wird aus Teil 2 bekannt vorkommen, anderes ist neu (oder anders).

















Die EXPO 2025 gilt für uns damit als erledigt; nicht aber das Leitthema „EXPO“ der Reise, auf das wir in den folgenden Tagen noch zurückkommen werden. Japan war diesbezüglich sehr aktiv in den letzten Jahrzehnten 😉
Zum Ende des Tages steht noch die Heimfahrt an. Nun ist die EXPO an einem Sonntagabend nicht schlecht besucht und rund 70% der Besucher reisen, so wie wir, mit der Metro an und ab. Obwohl viele bereits vor Sonnenuntergang gegangen sind, strömen jetzt gegen 21:30 tausende Menschen gleichzeitig auf die Metro zu. Das erfordert Organisation – um die man sich als Besucher aber keine Sorgen machen muss, denn die Japaner haben ein Talent dafür. Nach dem Verlassen des Geländes durch das breite Eingangstor wird der Zustrom zur Metro durch Metallzäune verengt, sodass ca. 8 Personen nebeneinander gehen können. Die Wegeführung und Breite des Zustroms ist darauf optimiert, pro abfahrendem Zug so viele Fahrgäste auf den Bahnsteig zu bringen, wie dieser fassen kann. Entsprechend verläuft der Zustrom zwar sehr langsam, aber kontinuierlich. Es geht immer voran! Das Tor zum Gelände haben wir um 21:30 verlassen. Um 21:57, also gerade einmal eine halbe Stunde später, fahren wir mit der Metro aus dem Bahnhof Yumeshima.


An den Umsteigestationen, allen voran in Bentenchō, stehen überall Ordner mit Schildern und Megaphonen, um den Fahrgästen den Weg zum Anschlusszug zu weisen und wartende Fahrgäste gleichmäßig auf die Bahnsteige zu verteilen. Insgesamt verläuft die Abreise dadurch reibungslos und wir sind nach nur 5 Minuten Umsteigezeit in der Ōsaka Loop Line auf dem Weg zum Hauptbahnhof.

Nach 16 Stunden auf den Beinen wird es dann aber Zeit für das Bett. Am nächsten Tag werden wir uns u. a. ansehen, was von einem EXPO-Gelände nach der Weltausstellung übrig bleibt. Außerdem werfen wir einen Blick in die ambitionierte Zukunft des japanischen Bahnverkehrs 🙂