Der 4. Tag beginnt ebenso früh wie der Tag zuvor, jedoch in diesem Fall nicht freiwillig, sondern dem Fahrplan geschuldet. Heute möchten wir die Tram Alicante besuchen, die auf einer ca. 100 km langen Strecke die Städte Dénia und Alicante miteinander verbindet. Außerdem möchten wir es im Anschluss am selben Tag noch bis nach Almería schaffen, um am nächsten Morgen endlich wieder etwas länger ausschlafen zu können.
Wir brechen gegen 6:30 am Hotel auf zum Bahnhof València-La Font de Sant Lluís, an dem wir gestern mit der Cercanías angekommen waren. Mit dem ersten stadteinwärts fahrenden Zug der Linie C 6 aus Castelló möchten wir um 6:50 zum Hauptbahnhof Estació del Nord fahren. Dort besteht ein 7-Minuten-Anschluss zur Linie C 1 nach Gandia.

Die knappe Umsteigezeit stört bei der Reiseplanung nicht besonders, da der Zubringer gemäß Fahrplan 14 Minuten für die 4 km lange Strecke zwischen beiden Bahnhöfen in Valencia benötigen soll. Trotzdem werden wir langsam nervös, als der Zug gemäß Anzeigetafel zunehmend Verspätung aufbaut. Grund dafür ist ein verspäteter AVE nach Madrid, der den Bahnhof zur planmäßigen Abfahrtszeit der Cercanías passiert und diese wohl aus der planmäßigen Trasse verdrängt hat. Inzwischen werden der Cercanías der Linie C 6 rund 15 Minuten Verspätung prognostiziert. Daher weichen wir auf den zweiten Zug des Tages aus. Dabei handelt es sich um einen Zug der Linie C 3, der inzwischen in den Bahnhof einfährt. Glücklicherweise hält dieser im Gegensatz zum Zug der Gegenrichtung am Vortag ganz hinten am Bahnsteig, sodass wir bequem direkt an der Treppe zusteigen können.

Der Anschluss war nun umso enger geworden, da die C 3 planmäßig um 7:11 ankommt und die C 1 zu genau der selben Zeit abfahren soll. Allerdings hat auch die Linie C 3 eine sehr großzügig bemessene Fahrzeit für den Streckenabschnitt La Font de Sant Lluís – Estació del Nord, sodass wir rund 5 Minuten vor Plan dort ankommen. Damit geht sich der Anschluss am Ende sehr gut aus. Den Zug der Linie C 6 aus Castelló sehen wir bis zu unserer Ausfahrt aus Valencia übrigens nicht mehr.



Gandia ist der südliche Endpunkt der Bahnstrecke von Valencia. Zwischen Gandia und Dénia, dem nördlichen Endpunkt der Straßenbahn Alicante, befindet sich daher eine rund 30 km lange Lücke im Schienennetz. Bis 1974 gab es eine Meterspurstrecke zwischen beiden Städten, die inzwischen stillgelegt und teilweise in einen Radweg umgewandelt wurde. Spuren davon sind in der Stadt noch zu finden.


Wir müssen zur Weiterfahrt nach Dénia daher auf die Straße ausweichen und nutzen dafür einen Fernbus des spanischen Betreibers ALSA. ALSA ist das größte Busunternehmen Spaniens. Neben einem nationalen Fernbusnetz betreibt das Unternehmen auch Strecken im Nah- und Regionalverkehr auf Konzession der autonomen Regionen. Leider sind die Fahrten von Gandia nach Dénia sehr ungleichmäßig über den Tag verteilt. Um 9:01 fährt unser von Valencia kommender Bus direkt ohne Zwischenhalt nach Dénia. Bereits 4 Minuten später fährt ein weiterer Bus aus Valencia nach Dénia, der auch in den Ortschaften unterwegs hält. Der nächste kommt dann erst wieder um 13:00. Beide Busse fahren an diesem Tag direkt hintereinander in den Busbahnhof von Dénia ein. Das führt bei den wartenden Reisenden zu sichtlicher Hektik. Allerdings versuchen die engagierten Busfahrer, das Chaos mit den Ausrufen „nueve – uno“ und „nueve – cinco“ zu ordnen. Die Busse sind übrigens auch an ihren Anschriften zu unterscheiden, denn der Bus um 9:01 hat Almería und der andere um 9:05 Benidorm zum Ziel.

Kurz darauf verlassen wir den Busbahnhof und stehen nach einigen Metern an einer engen Einmündung, die ein falsch parkender Lieferwagen versperrt. Nach viel lautem Hupen des Busfahrers und der im Rückstau wartenden Autofahrer stellt der Lieferbote laut fluchend sein Fahrzeug weg und wir verlassen zügig die Stadt. Nach der Ortsdurchfahrt durch einen Vorort fährt der Bus auf die Autobahn auf.


Auf der Zufahrtsstraße nach Dénia stockt es ein wenig hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug der Straßenmeisterei. Trotzdem erreicht der Bus pünktlich den Busbahnhof von Dénia.

Den Transfer vom Busbahnhof zum Bahnhof, an dem die Straßenbahn endet, absolvieren wir zu Fuß.






In Dénia endet die meterspurige Bahnstrecke von Alicante, die heute durch die Tram Alicante betrieben wird. Die Tram Alicante verkehrt formell auf ihrem gesamten Streckennetz als Eisenbahn, vermarktet sich jedoch selbst als Straßenbahn. Stündlich verkehrt ab Dénia die Linie 9 auf dem nicht-elektrifizierten Streckenabschnitt bis Benidorm. Dort besteht Anschluss zur halbstündlich elektrisch weiter fahrenden Linie 1. Auf der Dieselstrecke setzt die Tram Alicante niederflurige Zweikraft-Triebwagen des Typs STADLER Citylink ein.


Die Fahrt über die sehr ursprünglich trassierte, aber bis ins Jahr 2023 vollständig generalsanierte Schmalspurbahn empfinde ich als das bisher schönstes Reiseerlebnis mit einer Straßenbahn.





Zu unserer Überraschung endet der Zug in Calp an einem provisorischen Bahnsteig. Dort müssen Fahrgäste nach Auskunft des Zugbegleiters zur Weiterfahrt umsteigen. Wie an den Bahnsteigen in Bild 4-25 zu erkennen ist, findet in Calp findet ein Umstieg von Niederflur auf Hochflur statt. Der Wechsel des Fahrzeugs wird in den Auskunftsmedien trotzdem als durchgehende Fahrt verkauft, sodass der Anschluss garantiert ist.

Die Fahrgäste in Richtung Benidorm warten deshalb am Hochbahnsteig auf den Anschlusszug.


Erforderlich ist der Umstieg, da eine Brücke im weiteren Streckenverlauf erst noch saniert werden muss, bevor die schwereren Triebwagen der Baureihe 5000 diese befahren dürfen. Wenn es soweit ist, werden durchgehende Fahrten mit den Zweikraft-Fahrzeugen von Alicante bis Dénia möglich sein.
Die Strecke nach Benidorm quert kurz nach der Abfahrt den Cañón del Mascarat, einen Canyon, der die benachbarten Orte Calp und Altea voneinander trennt. Danach steigt die Strecke ab bis fast auf Meereshöhe. Der Zug füllt sich in diesem Abschnitt zunehmend, sodass trotz der großzügigen Innenraumgestaltung einige Fahrgäste stehen müssen. Die Fahrt endet schließlich in Benidorm. Dort steht am Hausbahnsteig bereits der Anschluss nach Alicante bereit.



Während sich die Mehrheit der Fahrgäste in den voll elektrischen Triebwagen der Linie 1 begibt, verlassen wir den Bahnhof und legen eine Pause in unserem Reiseverlauf ein, um die Stadt Benidorm zu erkunden. Benidorm ist für sein einzigartiges und fast unwirkliches Stadtbild bekannt, denn obwohl die Stadt nur rund 70.000 Einwohner zählt, besteht sie im Zentrum überwiegend aus Hochhäusern. Die Stadt hat seit den 1960er-Jahren eine sehr radikale Entwicklung vom Fischerdorf zum Touristenort hingelegt. Zur Behausung der Massen an Touristen wurden daher mehrstöckige Hotels errichtet. Um die Stadt trotz der steigenden Zahl an Einwohnern und Touristen kompakt zu halten, wurde zunehmend auch bei Wohngebäuden in die Höhe gebaut. Heute hat Benidorm die höchste Dichte an Hochhäusern weltweit.








Der Haltepunkt Benidorm Intermodal befindet sich im eingleisigen Streckenabschnitt zwischen Benidorm und Altea nahe des Fernbus-Terminals von Benidorm. Neben der Linie 9, die hier stündlich in beide Richtungen fährt, bedienen einzelne Züge der Linie 1 zur Hauptverkehrszeit den Haltepunkt, die über den eigentlichen Endpunkt Benidorm hinaus hierhin verlängert sind. Wir nutzen den Zug um 13:58 zur Weiterfahrt nach Alicante.


Leider tragen alle Züge der Linie 1 trotz der landschaftlich sehenswerten Streckenführung Vollwerbung.

Die Linie 1 hält bis zur Endhaltestelle der Linie 3 in El Campello an allen Stationen. Bis dorthin ist die Strecke eingleisig, sodass alle 15 Minuten eine Zugkreuzung erforderlich wird. Da sich der Abstand der Haltestellen nicht mit den fahrplan-optimalen Kreuzungspunkten deckt, gibt es an manchen Stellen Betriebsbahnhöfe zur Kreuzung auf der „freien“ Strecke, z. B. auf halben Weg zwischen dem Haltepunkt Paradis und dem Bahnhof Venta Lanuza. Ab El Campello ist die Strecke durchgehend zweigleisig. Die Linie 1 fährt ab dort als Expresslinie. Bis zur Haltestelle La Isleta halten die Züge der Linie 1 nur in Lucentum, während die Linie 3 auf dieser Strecke noch 10 weitere Zwischenhalte bedient. Wir steigen an der Haltestelle Sanguetta aus, der letzten Station vor der Einfahrt in den Innenstadttunnel. Dort zweigt die Strecke der Linie 5 zur Endhaltestelle Porta del Mar an der Strandpromenade ab.

Im Hintergrund ist das Castillo de Santa Bárbara erkennbar.




Nach einer kurzen Erholungspause am Strand fahren wir weiter in die Innenstadt. Dafür nutzen wir die Linie 5 zurück bis zum Umsteigepunkt Sanguetta und steigen dort um in einen stadteinwärts fahrenden Zug der Stammstrecke. Die Innenstadtstrecke endet nach 3 Stationen an der unterirdischen Endstelle Luceros.



Die Endhaltestelle der Straßenbahn liegt nur einen kurzen Fußweg vom RENFE-Bahnhof Alacant Terminal entfernt.



Von Alicante fahren wir mit dem Zug weiter nach Murcia. Dafür gibt es zwei mögliche Streckenführungen: Zum einen die Breitspur-Strecke über Elche, die von der Cercanías und wenigen Regional- und Fernzügen bedient wird und zum anderen die normalspurige Neubaustrecke, die erst Ende 2023 bis Murcia eröffnet wurde. Wir entscheiden uns für die schnellere Variante. Zwischen Alicante und Murcia gibt es auf der Neubaustrecke ein regelmäßiges Angebot an „regionalen Hochgeschwindigkeitszügen“, welche die RENFE als Avant vermarktet. Avant-Züge halten i. d. R. an allen Unterwegshalten und fahren nur innerhalb des Einzugsbereichs von Ballungszentren. Sie werden, genauso wie Media Distancia-Züge, zum Festpreis angeboten und sind reservierungspflichtig. Der nächste Avant fährt um 17:15. Wir nutzen jedoch bereits den AVE aus Madrid, der um 17:00 nach Murcia weiterfährt, zum Avant-Preis. Das ist durch eine weitere Besonderheit des spanischen Buchungssystems möglich: Spanische Züge werden oft abschnittsweise als „Codesharing“-Angebot auch in einer niedrigeren Zuggattung angeboten. So sind für den AVE zwischen Alicante und Murcia sowohl Festpreis-Fahrkarten zum Avant-Tarif für 9 €, als auch dynamisch bepreiste Fahrkarten zum AVE-Tarif für zum Buchungszeitraum mindestens 12 € erhältlich. Ich entscheide mich natürlich für die günstigere Option, die zudem eine kostenfreie Sitzplatzauswahl enthält (im AVE-Tarif ist die platzgenaue Buchung aufpreispflichtig). Dafür können nur Sitzplätze in den Wagen 8 und 9 reservieret werden, die den Reisenden zum Avant-Tarif zwischen Alicante und Murcia vorbehalten sind.
Für den Zugang zum Bahnsteig müssen wir nun, wie im spanischen Hochgeschwindigkeitsverkehr üblich, durch die Sicherheitskontrolle. Das bedeutet, wir legen unser Gepäck auf ein Förderband und lassen es kurz durchleuchten. Zudem zeigen wir einem Mitarbeiter der ADIF (des spanischen Infrastrukturbetreibers) kurz unsere Fahrkarte. Die Kontrolle ist bei weitem nicht so umfangreich wie an Flughäfen. Es müssen also keine Flüssigkeiten größer 100 ml ausgepackt werden und auch den Gürtel darf man anbehalten, da kein Scanner durchschritten werden muss. Nachdem wir unser Gepäck wieder an uns genommen haben, dürfen wir weiter zum Bahnsteig, lassen unsere Fahrkarte am Zugang vom RENFE-Personal scannen und warten auf den Zug.


Da der Zug in Alicante die Fahrtrichtung wechselt, zeigen auf der Fahrt nach Murcia alle Sitze (bis auf die eine vis-à-vis-Sitzgruppe pro Wagen) rückwärts.



In Murcia haben wir nun über eine Stunde Zeit für den Wechsel zum Busbahnhof, die wir u. a. zur Verpflegung nutzen. Spanische Busbahnhöfe liegen leider nur in den wenigsten Fällen direkt an den Bahnhöfen. In Murcia liegen beide Örtlichkeiten ca. 2 km voneinander entfernt. Diese Entfernung legen wir nach dem Abendessen fußläufig zurück.




20 Minuten später stehen wir am Busbahnhof und besteigen erneut einen Fernbus von ALSA, der uns zum Tagesziel Almería bringt. In ALSA-Bussen ist es üblich, bei der Buchung einen Sitzplatz zugewiesen zu bekommen, den man sich i. d. R. grafisch auswählen darf. Beim Scannen der Fahrkarte spricht der Busfahrer die Platznummer auch noch einmal laut aus. Dennoch interessiert sich in Spanien niemand für diese Platznummern. Bei meinen Fahrten mit ALSA war mein Platz immer belegt, also suche ich mir einfach einen anderen aus und lasse mich dort nieder. Zum Aufstehen angesprochen wurde ich wiederum auch nie. In Spanien lebt man die Gelassenheit.


Dadurch braucht man sich als Fahrgast trotz mehrerer Zwischenhalte keine Sorgen über den Diebstahl von Gepäckstücken zu machen.

Mit Almería haben wir die Südküste Spaniens nun erreicht und liegen auf einer „Höhe“ (d. h. Breite) mit Städten wie Algier, Tunis und Antalya. Wir gehen zur späten Stunde noch einmal rund 2 Kilometer in das Stadtzentrum hinein, um dort unser Hotelzimmer zu beziehen. Während deutsche Städten zu dieser Zeit an Werktagen mitunter bereits beunruhigend leer sind, ist in Spanien am späten Abend noch viel Leben in den Straßen. Wir freuen uns nach dem langen Tag nun aber darauf, am nächsten Morgen ausschlafen zu dürfen, da wir die Reise erst nach 10:00 fortsetzen werden.