So problemlos, wie die Reise bisher verlaufen ist, könnte sie eigentlich weitergehen. Doch als wir um 7:30 am Samstagmorgen in der Bahnhofshalle ankommen, hat sich dort schon eine Gruppe ratloser Fahrgäste versammelt. Ich kann zunächst noch nicht erkennen, welches Problem aktuell besteht, aber unser Zug um 7:57 wird aktuell mit einer Verspätung von 5 Minuten angezeigt, zur der im 5-Minuten-Rhythmus weitere 5 Minuten dazu kommen. Schnell wird uns deshalb klar, dass wohl eine größere Störung vorliegt. Ich schaue kurz auf mein Smartphone und finde heraus, dass heute noch kein Zug in Richtung Côte d’Azur aus Marseille abgefahren oder von dort in Marseille angekommen war. Alle Züge waren als Ausfall oder mit hohen Verspätungsprognosen eingetragen. Als Grund wird eine „panne de signalisation“ angegeben. Weitere Informationen stellen die Info-Bildschirme im Bahnhof zur Verfügung: Die Störung sollte wohl noch bis 8:30 andauern, dann wolle die SNCF den Zugverkehr langsam wieder aufnehmen. Nachdem für unseren Zug um 8:20 endgültig entschieden wird, diesen ausfallen zu lassen, müssen wir uns nach Alternativen umsehen. Der nächste Regionalzug nach Nice würde erst um 9:57 fahren und ein Flixbus in diese Richtung war gerade abgefahren. Um 8:27 sollte jedoch noch ein TGV nach Nice fahren, der gerade aus Lyon angekommen war und für den noch keine Abfahrtsverspätung prognostiziert wird. Kurz entschlossen entscheiden wir uns dazu, diesen Zug zu nehmen. Hastig gehen wir zum Automaten, kaufen eine neue Fahrkarte für den Zug und kommen 3 Minuten vor der Abfahrt am Bahnsteig an. Dort schaffen wir es nicht mehr vor bis zu unserem Wagen, ehe der Zugchef zum Einstieg pfeift und wir den Weg zu unserem Platz im Zug fortsetzen. Der TGV Duplex ist überraschenderweise ziemlich leer, obwohl er heute der erste Zug sein sollte, der von Marseille-Saint Charles aus an die Côte d’Azur durchkommen wird. Daher können wir uns einen freien Platz auf der Südseite mit Blick zum Meer suchen.

Wir kommen vorerst nur bis zum Beginn der Störung an das Einfahrtssignal des Bahnhofs Aubagne. Dort stehen wir rund 15 Minuten, bevor wir mit Schrittgeschwindigkeit zum Bahnsteig vorziehen dürfen. Im Bahnhof angekommen werden die Türen freigegeben und der Zugchef teilt uns die weiteren Abläufe mit: Vor uns befinde sich noch ein Zug, der auf Sicht mit reduzierter Geschwindigkeit durch den gestörten Abschnitt fährt. Das Ende der Störung liegt im Bahnhof Cassis ca. 10 Kilometer entfernt. Wir würden unsere Fahrt dann ebenfalls auf Sicht und mit verminderter Geschwindigkeit fortsetzen, sobald der vorausfahrende Zug Cassis erreicht und sich zurück gemeldet hat. Bei diesem Zug handelt es sich, wie wir später erfahren werden, um den Nachtzug Paris – Nice, der durch die Störung schon über 2 Stunden Verspätung angesammelt hat. Gegen 9:30 setzen wir uns wieder in Bewegung und fahren auf dem folgenden Streckenabschnitt teilweise als Schleichfahrt, teilweise auf geraden Abschnitten mit 60 – 70 km/h, dem Ende der Störung entgegen. Nach einer Viertelstunde rollen wir durch Cassis und setzen unsere Fahrt mit regulärer Geschwindigkeit und einer guten Stunde Verspätung fort. Auf den folgenden Kilometern kommen uns zahlreiche Züge (Ouigo, TGV, TER und Güterzüge) entgegen, die sich hinter der Störung zurück gestaut haben . Zum Glück wird die Signalstörung schon kurz nach unserer Durchfahrt behoben, sodass sich die wartenden Züge langsam wieder in Bewegung setzen können. Da wir inzwischen rund 1,5 Stunden später unterwegs sind als ursprünglich geplant, entscheiden wir uns, den unterwegs vorgesehenen Zwischenhalt in Cannes entfallen zu lassen und direkt bis Nice durchzufahren. Während der Fahrt an der Côte d’Azur reduziert unser TGV durch verkürzte Haltezeiten und einen äußerst engagierten Tf zunehmend die Verspätung. Am Endbahnhof Nice liegt die Verspätung des TGV dann nur noch bei 35 Minuten. Dadurch kommen wir insgesamt gerade einmal noch 10 Minuten später als ursprünglich angedacht in Nice an. Wir können dem Zugchef daher eindeutig beipflichten: Chapeau au Conducteur!




Hier sind wir kurz vor dem Bahnhof Agay,…







An dieser Stelle möchte ich besonders die Leistung des engagierten Zugpersonals hervorheben. Der Zugchef und seine Kollegen waren stets bemüht, die Fahrgäste informiert zu halten. Dazu gehört auch die mehrfache Durchsage, dass wir eine Verspätung größer als 30 Minuten erreicht haben und damit der Anspruch auf eine Fahrpreiserstattung von 25% in Form eines Gutscheins besteht. Diese Erstattung wird in Frankreich als Garantie G30 bezeichnet. Der Zugchef weist auch explizit und fast schon auffordernd darauf hin, wie und wo die Erstattung als Fahrgast beantragt werden kann. Ein sehr kundenorientierter Service!
Nach der langen Wartezeit auf der Strecke sind wir nun am Zentrum der Côte d’Azur.








Am Bahnhof ist für einen kurzen Moment wieder Eile geboten, denn der nächste Zug fährt planmäßig drei Minuten früher als in den Fahrplanmedien der DB (und damit auch im Interrail-Fahrplan) beauskunftet. Zudem möchte sich die Bahnsteigsperre mit meinem Interrail-Pass nicht vertragen, sodass ich auf die Hilfe des örtlichen Personals angewiesen bin. Schließlich kommen wir genau zur angeschriebenen Abfahrtszeit am Bahnsteig an und können noch etwas durchatmen, da der Zug einige Minuten Verspätung mitbringt. Der eingesetzte Régio2N wird von Zusteigern überrannt und ist so gut besetzt, dass einige Fahrgäste stehen müssen.
20 Minuten später erreichen wir Monaco, das Land mit der höchsten Lebenserwartung der Welt und dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Europas. Monaco hält auch in Bezug auf die Eisenbahn einen Rekord, denn der Tunnelanteil des Eisenbahnnetzes im Land beträgt 100 %. Die Hauptstrecke entlang der Côte d’Azur unterquert das monegassische Staatsgebiet ausschließlich durch einen langen Tunnel, in den der Tunnelbahnhof Monaco-Monte Carlo integriert ist. Die Infrastruktur wird von der SNCF betrieben, da Monaco eine Enklave Frankreichs darstellt und die Strecke beidseitig auf französischem Staatsgebiet fortgeführt wird. Monaco ist der hohen Lebensstandard der dort wohnenden Bevölkerung deutlich anzusehen. Außerdem sind in der ganzen Stadt die baulichen Vorrichtungen zur Durchführung verschiedener Motorsportwettbewerbe sichtbar, am bekanntesten natürlich der Grand Prix de Monaco in der Formel 1. Die Promenade am Port Hercule wird von mehrstöckigen Tribünen gesäumt und die Straße ist als mehrspurige Einbahnstraße ohne markierte Fahrstreifen angelegt. Passend dazu ziehen in kurzen Abständen Sportwagen aus der oberen Preisklasse mit lauten Motorengeräuschen vorbei.








Unten sind die großen Tribünen für Motorsport-Fans zu erkennen.

Nach dem Aufstieg zum Fürstenpalast gehen wir zurück zum Bahnhof. Mit Hilfe der durchgängigen Beschilderung erreichen wir den Eingang schneller als erwartet. Doch bis zum Bahnsteig müssen wir noch einem unterirdischem Gang folgen, der mindestens einen Kilometer lang ist. Rechts und links sind, vergleichbar zu Flughäfen, „horizontale Rolltreppen“ angebracht, durch die der Gang schneller passiert werden kann. Die Bahnsteige weisen im Anschluss ebenfalls stattliche Längen von rund 600 Metern auf und die Züge halten in der Regel weit vorne. Der nächste Zug ist wieder ein Régio2N, der aus Ventimiglia kommt und in Monaco zur Rückfahrt eben dort hin wendet.


Nun nehmen wir Abschied von Frankreich. Wir passieren noch kurz die französische Stadt Menton, bevor der Zug direkt am Meer die italienische Grenze überquert und in den Grenzbahnhof Ventimiglia einfährt.




Am Grenzbahnhof Ventimiglia wartet schon der Anschluss zur Weiterfahrt entlang der italienischen Riviera. Der Regionale Veloce von Trenitalia wird durch einen lokbespannten Zug gefahren, der aus 6 Flachwagen mit abgesenktem Mittelteil besteht. Das sichtlich alte Wagenmaterial weist dabei einen noch geringeren Fahrkomfort als die deutschen n-Wagen auf. Die Züge der Gattung Regionale Veloce sind entgegen anderslautender Hinweise bei Interrail nicht reservierungspflichtig. Ungünstigerweise ist im gesamten Zug nur eine Tür am letzten Wagen zum Einstieg geöffnet, damit die Zugbegleiterin die Fahrkarten bei Zustieg kontrollieren kann. Deshalb breiten sich die Umsteiger im hintersten Wagen aus, der sehr schnell gut gefüllt ist. Wir gehen deshalb noch einige Wagen im Zug nach vorne. In den alten Wagen ist dieses Unterfangen aber gar nicht so einfach, denn die Trenntüren an den Einstiegsbereichen und die Wagenübergangstüren lassen sich nur per Hand auf- und zuschieben. Wir benötigen rund 10 Minuten, um uns in den vierten Wagen vorzukämpfen und dort sesshaft zu werden. Vor der Abfahrt tritt ein älterer Herr an den Zug heran und will von außen in unseren Wagen einsteigen. Von beiden Seiten versuchen wir vergeblich, die Außentür von der jeweiligen Seite zu öffnen, worauf er mit lautem Fluchen reagiert und mürrisch zur offenen Tür am letzten Wagen weitergeht.
Die Fahrt in dem veralteten Fahrzeugmaterial ist ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Die Strecke an der italienischen Riviera wurde in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut und führt heute größtenteils als Ausbaustrecke durch viele lange gerade Tunnel, in denen der Zug seine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h ausfährt. Nur wenige Streckenabschnitte, z. B. zwischen Alassio und Finale Ligure, sind noch in ihrer originalen Trassierung an der Küstenlinie erhalten. Die übrigen Abschnitte der Altstrecke sind inzwischen durch die Tunnelstrecken ersetzt worden und dienen heute stellenweise als Bahntrassenradweg. Dabei wurden auch die Bahnhöfe an der historischen Trasse durch neue Bahnhöfe an der Ausbaustrecke ersetzt. Der Bahnhof von Sanremo liegt heute z. B. komplett im Tunnel. Nachdem der Wagenpark schon äußerlich und innerlich nicht sehr zeitgemäß wirkt, verstärkt sich dieser Eindruck bei unruhiger Fahrt mit 140 km/h im Tunnel noch einmal deutlich. Daher sind wir froh, nach zwei Stunden an unserem Tagesziel in Genova angekommen zu sein.





Der Zug fährt noch weiter bis zum zweiten großen Bahnhof Genova Brignole.
Auch der letzte Abend der Reise endet mit einem kurzen Stadtrundgang.






Die Kugel beheimatet einen kleinen privaten Zoo.


