Als wir das Hotel am Morgen verlassen, ist vom rauen Wind der Nacht auf der Straße kaum etwas zu spüren. Wir begeben uns zum Bahnhof, an dem unser erster Zug des heutigen Reisetages mit einer kleinen Verspätung angekündigt wird. Der Régiolis kommt mit einer großen Menge an Fahrgästen ca. 5 Minuten nach der planmäßigen Abfahrtszeit aus Richtung Nordwesten in den Bahnhof eingefahren, leert sich, füllt sich wieder und fährt weiter, nachdem noch ein Güterzug vorgelassen wurde.

Heute stehen einige Orte im Süden des Landes im Reiseplan. Wir sind bereits auf dem Weg zur ersten Station, der Stadt Carcassonne. Bekannt ist diese Stadt durch das namensgleiche Brettspiel, bei dem die Spieler sich aus verschiedenen Modulen eine möglichst stabile Festung zusammen bauen. Diese Festung hat ein reales Vorbild, welches hoch über der namensgebenden Stadt im Tal der Aude thront.

Die Burg wird von der darunter liegenden Stadt aus über die Pont Vieux („alte Brücke“) erreicht, die den Fluss Aude quert. Darauf folgt ein steiler Aufstieg entlang der Außenanlagen der Festung, die wir durch die passend benannte Porte de l’Aude betreten. Schon während des Aufstiegs bemerken wir, dass nicht nur ein starker Wind herrscht, sondern ein Sturm durch das Land tobt. In der mittelalterlichen Burg selbst ist es jedoch windstill. Die Burg versprüht einen ursprünglichen und historischen Charme (wohl auch, weil wir in der Nebensaison und am frühen Vormittag hier vorbei schauen). Wir verlassen die Burg durch das gegenüberliegende Tor, die Porte Narbonnaise. Für die Rückfahrt zum Bahnhof nutzen wir einen Stadtbus, dessen nächstgelegene Haltestelle vor dem örtlichen Gefängnis liegt, das passenderweise den Insassen Ausblicke auf die mittelalterliche Festung bietet. Beim Warten auf den Bus finden wir dann zufällig im Internet die Sturmwarnung des französischen Wetterdienstes mit Hinweisen auf mögliche Einschränkungen im öffentlichen Verkehr. Der Bus kommt trotzdem pünktlich und wenig später erreichen wir den Bahnhof.

Die Brücke über den Kanal führt über diese Schleuse.






Pünktlich kommt ein Régiolis in Richtung Perpignan angefahren. Der Zug fährt bis Narbonne auf der Hauptstrecke Bordeaux – Marseille und hat dort einen längeren Aufenthalt zum Fahrtrichtungswechsel, bevor er in Richtung der spanischen Grenze von der Hauptstrecke abzweigt. Wir steigen in Narbonne um in einen Zug, der die Fahrt auf der Hauptstrecke in Richtung Avignon fortsetzt. Der Knotenanschluss um 11:00 in Narbonne wird durch zwei entsprechende Gegenzüge Perpignan – Narbonne – Toulouse und Avignon – Narbonne zu einem vollwertigen Rendez-Vous-Knoten komplettiert, der auch von vielen Fahrgästen zum Umstieg genutzt wird. Als Anschlusszug wartet eine AGC-Doppeltraktion. Wir könnten mit diesem Zug nun bis Avignon durchfahren, allerdings möchten wir unterwegs noch einen kleinen Aufenthalt für das Mittagessen einlegen. Von den Städten, an denen die Strecke vorbei führt, entscheiden wir uns für Sète.



Das rote AGC kommt gerade aus Avignon und übergibt Fahrgäste an die Anschlüsse nach Toulouse und Perpignan.


Unser vorderer Wagen war noch nicht modernisiert.

Sète liegt auf einer Landzunge, die einerseits durch das Mittelmeer und andererseits durch den Étang de Thau begrenzt ist. Die Altstadt wird von zwei langen Kanälen und zwei Querkanälen durchzogen, wodurch Sète zu seinem Beinamen „Klein-Venedig Frankreichs“ gekommen ist. Die Stadt erinnert tatsächlich an Venedig, ist aber wegen des Autoverkehrs in der Innenstadt nicht direkt damit vergleichbar. Während unseres Aufenthalts in Sète dreht der Sturm richtig auf, sodass mediterranes Flair mit friesischem Wetter zusammen kommt.



Nach einer Stunde kommen wir zurück zum Bahnhof und stellen uns windgeschützt in der Bahnhofshalle unter. Wir möchten nun mit dem Folgetakt nach Avignon weiterfahren. 10 Minuten zuvor sollte planmäßig noch ein IC nach Marseille durchkommen. Der IC steht allerdings schon mit einer Verspätungsprognose von 10 Minuten auf dem Anzeiger, die sich kontinuierlich bis auf +30 erhöht. Ein Blick ins Smartphone verrät, dass der IC mit einer Fahrzeugstörung zwischen Narbonne und Béziers liegen geblieben ist. Unser TER kann den liegen gebliebenen Zug allerdings über das Gegengleis umfahren und verlässt Sète mit +8, während dem IC inzwischen +45 vorausgesagt werden.

Bis Montpellier können wir die Verspätung etwas reduzieren. In Lunel werden wir allerdings auf die Seite genommen, damit ein TGV nach Paris an uns vorbei ziehen kann. In Nîmes stehen wir diesem dann kurz darauf am selben Bahnsteig gegenüber, da der TGV hier eine Haltezeit von 4 Minuten verplant hat. Trotzdem behalten wir bis zum Schluss eine geringe Verspätung bei, da wir auch in Nîmes warten müssen, bis der TGV weit genug voraus gefahren ist.

In Avignon fahren wir mit einem Bus zum Busbahnhof Porte de l’Oulle am gleichnamigen Stadttor. Die Stadt Avignon plant auf dieser Strecke den Bau einer Straßenbahn, die auf einer Brücke über die Rhône weiter geführt werden soll. Durch das Stadttor betreten wir die Altstadt und besuchen dort den Platz vor dem Papstpalast. Im 14. Jahrhundert gab es tatsächlich mehrere Päpste in Avignon. Diese Ehre geht zurück auf den Einfluss des französischen Königs im Konklave der Kardinäle einerseits und auf die Kooperation der so gewählten Päpste andererseits, die sich nach ihrer Ernennung in Frankreich statt in Rom niedergelassen haben. Den Ansprüchen des Heiligen Stuhls entsprechend wurden die Stadtbefestigung und der Palast im 14. Jahrhundert ausgebaut. Die historischen Anlagen sind zum Großteil noch heute erhalten. Daneben befindet sich in Avignon noch eine andere Sehenswürdigkeit mit einer interessanten Geschichte: Die Pont Saint Benezet. Die Steinbrücke wurde zur Zeit der Päpste als Verbindung zwischen der Innenstadt und der Vorstadt Villeneuve-lès-Avignon errichtet, hielt aber in den folgenden Jahren den Hochwassern der Rhône nicht stand. Heute stehen von der Brücke nur noch vier Pfeiler und sie endet an einer Abbruchkante mitten auf dem Fluss.






Zurück am Bahnhof wartet bereits ein AGC im Design der Region Sud auf unsere Weiterfahrt. Dieser Zug hätte uns direkt nach Marseille gebracht, wo wir uns heute Abend einquartieren werden. Allerdings fahren wir nur bis zum Halt in Miramas mit, denn von dort nach Marseille gibt es eine deutlich schönere Strecke. Wir steigen in Miramas um in einen zweiteiligen X-TER. Der X-TER ist die Diesel-Variante des Z-TER, den wir am 3. Tag zwischen Rennes und Nantes genutzt haben. Die dann folgende Fahrt empfand ich rückblickend als die schönste Fahrt der gesamten Reise. Die Strecke führt erst an verschiedenen kleineren Seen wie dem Étang de Lavalduc und dem Étang d’Engrenier vorbei. Zwischen dem Haltepunkt Croix-Sainte und dem Bahnhof Martigues quert die Strecke auf einer Hochbrücke den Canal de Caronte, der für Seefahrer vom Meer die Einfahrt in den innenliegenden großen Étang de Berre ermöglicht. Der schönste Abschnitt der Strecke liegt zwischen Carry le Rout und L’Estaque. Dort führt die Strecke malerisch direkt am Meer an der Côte bleue entlang. Passend zum Namen ist das Wasser dort tiefblau. Insgesamt zeigt die Strecke trotz vieler Tunnel durchgehend mediterranes Nebenbahn-Flair vom Feinsten und ist daher absolut sehens- und empfehlenswert. Schließlich fahren wir durch die Gleisanlagen des Frachthafens Euroméditerranée in die Stadt Marseille ein. Nach einer langen Kurve erreicht der Triebwagen den Großbahnhof Saint-Charles an den äußeren Bahnsteigen der nördlichen Nebenhalle.









6 Tage sind wir bis hierhin schon unterwegs und bisher ist alles reibungslos verlaufen. Selbstredend kann man aber nicht immer so viel Glück haben und so würde das Wochenende am nächsten Tag mit einigem Ärger beginnen. Am Abend ahnen wir davon aber noch nichts und unternehmen noch einen kleinen Ausflug zum Vieux-Port.




Im Hintergrund überragt die Basilique Notre-Dame de la Garde die Stadt.
