Die Reise beginnt an einem sonnigen Sonntagmorgen um kurz nach 7:00 an einem kleinen Unterwegshalt zwischen Landau und Neustadt. Bis zum Ende des Tages wird die Südpfalz als Ausgangspunkt weit hinter uns liegen und wir erreichen die Küste von Calais. In den folgenden Tagen werden wir dem atlantischen Ozean und später auch dem Mittelmeer dann regelmäßig begegnen. Die schnellste Route nach Calais unter Umgehung der hohen Reservierungsgebühren für Interrail führt über Belgien und dauert im Idealfall rund 9 Stunden. Da wir am Sonntag aber auskömmlich Zeit haben, nutzen wir die Gelegenheit für zwei Zwischenaufenthalte in Frankfurt und Bruxelles. Denn Frankfurt habe ich bis zu diesem Zeitpunkt zwar schon oft mit der Bahn passiert, die Stadt an sich kannte ich aber bisher nicht. Das sollte sich nun ändern und so möchten wir die großzügige bemessene Umsteigezeit nutzen, um uns dort etwas umzuschauen.
Die Anreise nach Frankfurt verläuft unspektakulär und planmäßig. Die erste RB 51 an diesem Tag von Landau nach Neustadt wird durch ein für die geringe Nachfrage sehr großzügig bemessenes Talent-Triple gefahren, das sich in Neustadt in die RB 53 nach Wissembourg um 7:36 mit einem Wagen und den RE 6 nach Karlsruhe um 8:09 mit zwei Wagen aufteilt. Weiter fahren wir ab Neustadt mit dem ICE 935, einem ICE1-LDV. Auch dieser Zug bietet am Sonntag zu früher Stunde viele freie Sitzplätze. Bis 2021 war der Sonntag, ebenso wie der Samstag bei der Vorleistung ICE 836, daher noch Ausschlusstag. Zwischen Mannheim und Frankfurt fährt der Zug entlang der Bergstraße, sodass auch Darmstadt von einer schnellen Verbindung nach Berlin profitiert. Gegen 9 Uhr erreichen wir pünktlich Frankfurt.




Rund 1,5 Stunden nach der Ankunft setzen wir unsere Reise mit dem ICE International in Richtung Bruxelles fort.

Die einige Tage zuvor getätigte Reservierung erweist sich in Anbetracht der hohen Auslastung als gute Investition. Trotz der viel bescholtenen Unzuverlässigkeit der Baureihe 406 verläuft die Fahrt ereignislos, sodass wir Bruxelles-Nord nach den zahlreichen und aus Fahrgastsicht kaum wahrnehmbaren Systemwechseln pünktlich erreichen. Die Weiterfahrt zum Gare du Midi, zu der am Gare du Nord noch ein paar Fahrgäste zusteigen, verzögert sich jedoch noch ein wenig, sodass wir schließlich um 13:40 in Bruxelles-Midi (niederländisch Brussels-Zuid) ankommen. Gegenüber wartet schon ein Anschluss nach Paris.

Bruxelles hat viel zu bieten, doch die eher kurze Aufenthaltszeit in der Stadt ermöglicht keine ausgiebigen Erkundungen, sodass wir uns entscheiden, nur kurz zum Atomium hinaus und wieder zurück zu fahren. Dafür nutzen wir die Metro-Linie 6, die leider von den Fernbahnsteigen aus etwas umständlich zu erreichen ist. EXPO und Atomium befinden sich nahe der Station Heysel (niederländisch Heizel), der vorletzten Station der Linie 6.



Nach einer kurzen Runde kommen wir schließlich wieder an der Metro an. Aufgrund einer baustellenbedingten Streckensperrung der direkten Bahnstrecke von Bruxelles nach Gent müssen wir für die Weiterfahrt rund 20 Minuten eher als ursprünglich geplant wieder am Bahnhof sein. Es kommt daher Hektik beim Kauf der Metro-Fahrkarte auf, die im ersten Anlauf von der Bahnsteigsperre wegen einer Störung nicht akzeptiert werden möchte. Nach dem Kauf einer zweiten Fahrkarte erreichen wir trotzdem die nächste Metro und haben zurück am Bahnhof damit noch ausreichend Zeit zum Umsteigen auf den IC zur Verfügung. Dessen Reisezeit nach Gent sollte sich durch die Umleitung über die weniger direkte Strecke über Aalst und Melle von eigentlich 28 auf 42 Minuten erhöhen. In der DB-Reiseauskunft war diese Änderung bereits hinterlegt. Trotzdem beauskunftet das FIS im Zug den regulären Fahrplan, wodurch die baustellenbedingte planmäßige Ankunftszeit um 15:45 als Verspätung dargestellt wird.

zeigt das FIS die baustellenbedingte Fahrplanabweichung als Verspätung an.
Die Fahrt beginnt pünktlich und führt zunächst bis kurz vor Denderleeuw parallel zur direkten Strecke auf den äußeren Gleisen. Bei Denderleeuw bleibt es für uns aber vorerst, denn dort wird unser Zug auf einem bahnsteiglosen Gleis angehalten. Zunächst passiert nichts, dann fährt neben uns ein Zug in unsere Richtung aus dem Bahnhof aus. Erst nach rund 15 Minuten Standzeit setzen wir uns wieder in Bewegung. In den nächsten Minuten wird deutlich, wie stark die Umleitungsstrecke belastet ist, denn in der Gegenrichtung stauen sich Personen- und Güterzüge im Blockabstand. Gent erreichen wir trotzdem mit nur rund 5 Minuten Verspätung gegenüber dem Baustellenfahrplan und damit ein wenig früher als mit dem eigentlich geplante direkte IC, der heute nicht verkehren kann.

In Gent steht nun ein Umstieg zum Regionalverkehr an. Der Regionalzug soll laut Aushangfahrplan um 16:06 von Gleis 9 abfahren. Der Zug an Gleis 9 fährt allerdings erst um 16:16 und in eine andere Richtung ab. Wir schauen deshalb kurz in den DB Navigator, der uns für die Abfahrt auf Gleis 8 verweist. So verlassen wir den Bahnsteig und suche den Aufgang zu Gleis 8. Im Nachhinein wäre uns Gleis 9 deutlich lieber gewesen, denn durch den Gleiswechsel erfahren wir, dass der Bahnhof Gent-St. Pieters (französisch Gand St-Pierre) aktuell eine große Dauerbaustelle ist. Der Zugang zu Gleis 8 gestaltet sich mit Gepäck daher etwas anstrengend.

Trotzdem erreichen wir den Anschluss rechtzeitig und komme eine halbe Stunde später am Grenzbahnhof Kortrijk (französisch: Courtrai) an.


Eine weitere halbe Stunde später verlassen wir Kortrijk mit einem grenzüberschreitenden Zug der SNCB in Richtung der Grande Nation. Der Zug besteht aus einer dreiteiligen AM96-Einheit. Der Zug hat einen längeren planmäßigen Aufenthalt am Unterwegshalt Mouscron (niederländisch Moeskroen), während dem aber kein Anschlusszug kommen oder gehen sollte. Kurz nach der Weiterfahrt überqueren wir dann die belgisch-französische Grenze und gegen 18:00 erreichen wir den Bahnhof Lille Flandres planmäßig.


Zur Weiterfahrt nach Calais stehen uns zwei Optionen zur Wahl: Entweder direkt ab Lille Flandres mit dem TER um 18:35, der Calais gegen 20:00 erreicht, oder über die Schnellfahrstrecke, wodurch wir eine halbe Stunde eher ankommen. Wir entscheide uns für letzteres, um die Küste hoffentlich noch bei Tageslicht zu erreichen. Dafür müssen wir zunächst, ähnlich den Umständen in Paris, den Bahnhof wechseln. Es sind glücklicherweise nur 10 Minuten Fußweg zum benachbarten Tunnelbahnhof Lille Europe an der Schnellfahrstrecke Paris – London.



Zur Fahrt nach Calais nutzen wir ein besonderes Angebot der Region Hauts-de-France: den TERGV (Transport express régional à grande vitesse). Dabei handelt es sich um einen Zug, der mit einem TGV-Triebzug mit bis zu 300 km/h gefahren wird, allerdings mit regulären Fahrkarten für den Regionalverkehr zuzüglich eines kleinen Zuschlags (supplément à grande vitesse) genutzt werden kann. Die meisten TERGV-Fahrten sind als „Codesharing“-Angebote ausgelegt, bei denen bestehende TGV-Verbindungen der SNCF abschnittsweise für die Benutzung mit Nahverkehrsfahrkarten + Zuschlag freigegeben sind. Es gibt aber auch einzelne Fahrten, bei denen der Zug exklusiv als TERGV nur innerhalb der Region verkehrt. Einen solchen nutzen wir nun. Der Zuschlag wird nur auf den Schnellfahrstrecken von Lille nach Dunkerque, Calais-Fréthun und Arras erhoben. Auf den übrigen Abschnitten im Bestandnetz können die Züge ohne Zuschlag mit Nahverkehrsfahrkarten genutzt werden. Das wird in den Fahrplänen dann als „TGVAUT“ (TGV autorisée) bezeichnet. Für Reisende mit Interrail-Pass ist der Zuschlag nicht erforderlich.

Der Bahnsteig ist unmittelbar hinter dem Fotostandort zu Ende, sodass der Triebkopf noch etwas in den Tunnel hinein ragt.
Je näher wir der Küste kommen, umso häufiger und dichter wird draußen der Nebel. Nach 28 Minuten und 101 Kilometern (im Schnitt 216 km/h, obwohl wir uns in einem Regionalzug befinden) erreichen wir den Bahnhof Calais-Fréthun.

Calais-Fréthun liegt direkt an der Schnellfahrstrecke, ist aber kein klassischer „Kraut und Rüben“-Bahnhof wie z. B. Meuse TGV oder TGV Haute-Picardie, denn der Bahnhof bietet Anschluss zum Regionalverkehr. Trotzdem liegt Calais-Fréthun rund 10 Kilometer außerhalb der Stadt. Den letzten Streckenabschnitt bis zum Stadtbahnhof Calais Ville legen wir deshalb mit einem Shuttlebus der SNCF zurück. Wir fahren für rund 10 Minuten auf der Schnellstraße durch die weiße Nebelwand, wobei die Sichtweite gerade so für den Bremsweg ausreicht und außer der Gegenfahrbahn nicht viel zu sehen ist. Dann erreichen wir die Stadt und der Bus biegt nach rechts in eine kleine Wohnstraße ab, wobei rechter Hand schon die Gleisanlagen des Bahnhofs Calais Ville zu sehen sind. Kurz vor dem Busbahnhof hält der Bus an und wir sind am Ziel.

Kurz darauf checken wir im ersten Hotel der Reise ein und danach geht wir, wie eingangs erwähnt, endlich an die Küste. Die Aussicht ist zwar durch den Nebel stark getrübt, aber dieser Umstand soll uns nach der langen Reise nun nicht weiter stören.



